Seiten

Dienstag, 9. Juli 2013

Möhrenfliegen und der Gifthandel

Im Leben eines jeden Chemikers kommt einmal der Tag - meistens schon während der Studienzeit - an dem er sich fragen muss, was er mit dem ganzen lustigen Zeug, das er im Labor mitgehen lassen gefunden hat, anfangen könnte. Weiterhin alles fein säuberlich oben auf dem Bücherregal aufreihen, sodass man seine Trophäensammlung aus bunt gefüllten Schnappdeckelgläsern jeden Tag mit der gebotenen Ehrfurcht betrachten kann, bzw. in der verschlossenen Stahlschatulle unterm Bett, wenn es sich um lichtsensible Substanzen wie Realgar handelt, das dazu neigt, an der Luft unter Lichteinwirkung in Arsentrioxid zu zerfallen und dann - sollte man selbst die Handhabung überleben - höchstens noch dazu taugt, auf altmodische Weise an das Erbe von Großmutter zu kommen, oder einen kleinen Absatzmarkt generieren und Geld verdienen. Im letzteren Fall muss man sich dann weiterhin fragen, ob das ein Geschäft sein soll, dass nur unter dem Labortisch stattfindet und mit einer Karriere in der Chemikalien-Mafia winkt oder ob man sich für den Weg des rechtschaffenden Einzelunternehmers entscheidet, der sich seinen kleinen Handel staatlich genehmigen lässt. 
Diese Fragen sind natürlich alle rein hypothetisch, denn selbstredend handeln Chemiker und vor allem Chemiestudenten ausnahmslos moralisch verantwortungsvoll nach den neueste Erkenntnissen der Wissenschaftsethik und würden daher niemals Stoffe, von denen ein Gefahrenpotential ausgehen könnte, an andere weitergeben - auch deshalb nicht, weil sie sie gar nicht besitzen, denn niemand würde jemals auf die Idee kommen, sie aus den Uni-Laboren zu entwenden.
Dennoch besteht nach §5 der Chemikalien-Verbotsverordnung die Möglichkeit, sich einer staatlichen Prüfung zur Erlangung der Sachkunde und damit der Berechtigung zum Inverkehrbringen von Gefahrstoffen zu unterziehen. An der Sachkundeprüfung kann jeder Volljährige vollkommen unabhängig davon, welchem Beruf er nachgeht oder welche Vorbildung er hat, teilnehmen. Die Prüfung besteht dabei ausschließlich aus Multiplechoice-Fragen mit jeweils vier Antwortmöglichkeiten, von denen beliebig viele richtigen sein können (wobei ersichtlich sein sollte, dass mindst. eine, maximal 4 Antworten richtig sind) und zum Bestehen müssen mindestens 50% der Fragen richtig beantwortet werden. Welche Fragen dabei gestellt werden können ist für Jedermann vorher einsehbar, da der BLAC (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Chemikaliensicherheit) einen Fragekatalog herausgegeben hat, der mögliche Fragen vorschlägt und der Einheitlichkeit der Prüfung in allen Bundesländern dienen soll. Aber mal ehrlich: Welcher Beamte setzt sich denn hin und überlegt sich, wenn der Katalog ihm doch etwa 900 Fragen vorschlägt, noch neue Fragen aus... 
Um zu illustrieren, welche Anforderungen diese Sachekundenachweis an den Prüfling stellt, will ich nun eine erlesene Auswahl an Fragen aus erwähntem Katalog vorstellen:
|2 17 
Was gehört zu den Schutzmaßnahmen nach der Gefahrstoffverordnung, die der Arbeitgeber bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen zu ergreifen hat?
a) Bereitstellung geeigneter Arbeitsmittel für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen
b) Begrenzung der Anzahl der Beschäftigten, die Gefahrstoffen ausgesetzt sind
c) geeignete Arbeitsmethoden und Verfahren
d) kostenlose Bereitstellung von Milchprodukten zur Gefahrstoffneutralisation
Es ist offensichtlich, dass Antwort d) richtig ist. Warum sonst hätte schon Kleopatra in Milch baden sollen?
|8 46

Einem Bauarbeiter ist auf einer Baustelle Kalk ins Auge gespritzt. Er muss
a) nach den Richtlinien des Arbeiterschutzgesetztes weiterarbeiten, da es sich um keine schwer wiegende Verletzung handelt.
b) als allererste Maßnahme zum Augenarzt geschickt werden.
c) das offen gehaltene Auge mit Wasser spülen und anschließend einen Arzt aufsuchen.
d) mit 1%-iger Borsäure spülen
Diese Frage ist wirklich fies, denn sie beinhaltet einige Fallen. Antwort a) erscheint sehr logisch, kann aber nicht richtig sein, denn hier geht es schließlich um Umwelt- und nicht um Arbeitsrecht. Wenn man etwas chemischen Verstand hat, dann wird man schlussfolgern, dass Kalk basisch reagiert und folglich die Neutralisation mit Borsäure eine gute Idee darstellt. Aber Obacht! Man achte auf die wohl durchdachte Wortwahl des Fragenstellers! Borsäure ist ein Feststoff und mit Feststoffen lässt sich schlecht spülen. Um die Antwort als richtig gelten zu lassen, müsste dort "Borsäure-Lösung" stehen. Antwort b) muss ausgeschlossen werden, weil man nicht erwarten kann, dass jeder Mitarbeiter spontan die 10€ Kassengebühr dabei hat, um zum Augenarzt zu gehen und Antwort c) kann wegen Unpraktikabilität verworfen werden, denn man muss sich mal vorstellen was wohl passiert, wenn jmd. versucht, sich auf einer Baustelle, auf der die einzige Frischwasserversorgung wahrscheinlich durch etwas gartenschlauchartiges (oder größeres) gewährleistet wird, mit dem örtlich üblichen Wasserleitungsdruck (oder höher, wenn die Baustelle einen eigenen Hydranten o.ä. hat) das Auge zu spülen... da bleibt vom Auge wahrscheinlich nicht sehr viel mehr, als der Kalk übrig gelassen hätte. Jetzt haben wir das Problem, dass alle vier Antworten falsch zu sein scheinen. Die Lösung ist: Die Frage ist falsch! Selbstverständlich trägt jeder Bauarbeiter beim Umgang mit Kalk immer seine vorgeschriebene Schutzbrille, ergo ergibt sich die in der Fragestellung suggerierte Situation überhaupt nicht. Wenn die Frage damit falsch ist, sind logischer weise alle Antworten richtig und wir sind nicht auf diesen Trick des Gesetzgebers reingefallen.
||5 36

Das Quecksilberthermometer einer Kundin ist auf dem Zimmerboden zerbrochen. Sie sagen ihr, dass
a) metallisches Quecksilber nicht verdampft und daher für den Menschen nicht giftig ist.
b) sie das Quecksilber mit dem Föhn bei geöffnetem Fenster verdampfen soll.
c) sie das Quecksilber möglichst vollständig aufnehmen und bei einer Schadstoffsammelstelle entsorgen soll
d) das Quecksilber Löcher in den Zimmerboden frisst.
Es ist leicht ersichtlich, dass b) das einzig richtige Vorgehen beschreibt ( c) nur dann, wenn kein Föhn im Haus ist), vorallem, wenn das Fenster zum Nachbarn zeigt. Trotzdem stört mich etwas an dieser Frage. Zum einen ist Antwort d) nicht sinnvoll, solange man keine Information über die Beschaffenheit des Zimmerbodens hat. Sollte dieser aus Metall bestehen, bspw. Natrium, würde sich nämlich ein Amalgam bilden und in dessen Folge gäbe es sehr wohl Lochfraß, nicht so bei Holz oder Steinböden. Zum anderen sollte genauer erläutert werden, wie das Quecksilber aufgenommen werden sollte, wenn tatsächlich einmal kein Föhn o.ä. zur Hand ist. Die beste Variante wäre, das Quecksilber mit einem Strohhalm, der nicht aus Metall sein sollte, in den Mund zu saugen. Da es ein unpolares Metall ist, kann es nicht über die Schleimhäute absorbiert werden und es geht absolut keine Gefahr von diesem Vorgehen aus - außer man hat bereits Amalgamfüllungen in den Zähnen, die könnten aufgeweicht werden. Man sollte diese Aufgabe im Zweifelsfall den Jünglingen im Haushalt überlassen, die noch zu jung sind, als dass sie vom Zahnarzt schon Füllungen verpasst bekommen hätten.
Und als letzte Frage hätten wir dann noch:
|||5 6

Welche der nachfolgenden Maßnahmen ist gegen die Möhrenfliege sinnvoll und wirksam einsethbar?
a) Abdeckung mit Netzen
b) Einsatz von Pheromon-Fallen
c) Aufstellung von Gelbtafeln
d) Zwischenpflanzung von Lockfallen
Wer mir sagen kann, was zur Hölle das jetzt gleich nochmal mit der Qualifikation zu tun hat, die man in dieser Prüfung nachweisen soll, um die Erlaubnis zu bekommen, mit 99% der gefährlichsten Subtanzen, die diese Welt herzugeben hat, zu handeln, hat einen (Ig)Nobelpreis verdient. Nur zur Information: Mein Vorgehen wäre, das Beet mit einem Graben zu umziehen und diesen mit Brom zu befüllen. Das hält nicht nur Möhrenfliegen, sondern auch den Nachbarsjungen ab - und zwar dauerhaft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen